14. November bis 10. Dezember 1988
Peter Küng
Galerie Pro(s)art, Waldstätterstrasse 31
Gruppenbild mit Stillleben, 1988, Tempera, Oel auf Leinwand, 140x100cm
Jede Betrachtung eines Werkes von Peter Küng umfasst ein Stück Bild-Archäologie. Die Beschreibung dieses einen Gemäldes setzt deshalb auch bereits während des Malvorgangs ein, wissend, dass sich Akzente verschieben können. Obwohl jedes Bild seine eigene Geschichte oder besser seine eigene Präsenz hat, kann eine einzelne Bildbetrachtung (auch während des Malvorgangs) doch exemplarischen Wert haben. In früheren Ausstellungen hat Peter Küng Werkgruppen zu bestimmten Themen erarbeitet: zu Platons Höhlengleichnis, Mythos von Artemis und Aktaion zum Stilleben. Die erste Idee war es nun, auch in dieser Ausstellung von einem Thema auszugehen: Von der Legende von Susanna im Bad (Daniel, 13). Während der Arbeit blieb aber einzig das vorliegende Gemälde mit diesem motivischen Vorwand übrig, und auch hier tritt die Legende mehr und mehr in den Hintergrund, etwa durch Wandlung der Haupthandlung und durch Einführung einer vierten Person. Dass die Legende von Susanna, die im Bad von zwei wollüstigen Alten entdeckt wird, in der Kunstgeschichte schon viele Darstellungen fand, scheint Peter Küng anzuziehen: nicht die Einmaligkeit des Unterfangens, sondern die Auseinandersetzung mit der Geschichte der Geschichte, die Erinnerung an die verschiedenen Versuche, der Legende in der Malerei habhaft zu werden. Küng findet hier sowohl im Inhalt der Legende als auch in der Geschichte der malerischen Auseinandersetzung mit ihr Grundprobleme der Malerei thematisiert. Er ergänzt damit die Ikonographie des Themas um die malerische Dimension. Auch die verschiedenen Bild-Zitate weisen vom Inhalt der Geschichte weg auf einen neuen Problemzusammenhang. Die wachgerufenen Erinnerungen machen deutlich, dass in der Vielzahl vorgeprägter Darstellungen nicht nur verschiedene Interpretationen der Legende, sondern auch unterschiedliche Weltsichten und damit Mal-Haltungen zum Ausdruck kommen.
Das dramatische Moment der Überraschung der Susanna im Bad wird hier in die allgemeine “Tat” des Sehens und Entdeckens übersetzt. Aus der badenden wird eine schlafende Susanna. Denn schlafend wird Susanna noch verletzlicher. Die geschlossenen Augen weisen auf eine geänderte Blickrichtung nach innen hin. Weil kein Blick wegweist, wird der Körper Susannas stark materiell erfahrbar, gleichzeitig wird er aber auch durch die Erinnerung gleichsam entmaterialisiert. Küng übersetzt diese Eigenschaft in tonige Malerei: Er modelliert mit den entsprechenden Farbwerten den Körper ganz aus dem Grund heraus und erreicht so – in Übereinstimmung mit der Präsenz von Erinnerungen – einen eigentümlichen Schwebezustand zwischen Auftauchen und Verschwinden. Die Voyeure dagegen heben sich viel stärker vom Bildgrund ab. Sie sind durch ihr lüsternes, starres Blicken charakterisiert und wirken durch die offenen Augen sehr präsent. Sie sehen, ohne etwas Bestimmtes zu betrachten (auch das in Abweichung zur Legende), und konzentrieren deshalb die ganze Aufmerksamkeit auf das Sehen als autonome Handlung.
Gegenwart und Vergangenheit, Sehen und Er-innern, Verhüllen und Ent-decken werden neu wichtig im Umfeld der vorgegebenen Legende. Der Alte auf der rechten Seite hält ein Tuch, das noch aus der Badeszene stammt, aber auch als Metapher für das Malen als verhüllende und enthüllende Tätigkeit gelten kann. Ebenso wie der Krug mit Salben und Oelen Requisit ist und zur Metapher werden kann für den Versuch, im Bild Flüchtiges zu fassen. Beides sind übrigens auch Utensilien des Malers: das Tuch als Leinwand und der Krug als Farbtopf.
Während der Arbeit werden maltechnische Phänomene zunehmend wichtiger und verdrängen den erzählerischen Gehalt der Figurenkonstellation: Die Farben werden immer verhaltener, und ein weisser (Farb-)Schleier schafft Distanz und rückt die Bildgegenstände (die Susanna) in die Nähe (nebliger) Erinnerungen. In dieser Farbgebung manifestiert sich auch Küngs Misstrauen gegen den absoluten Anspruch reiner Farben. Die vielen Grau- und Weiss-Anteile lassen sein Gemälde aber nicht stumpf werden, sondern steigern im Gegenteil dessen Farbigkeit. Dem entspricht die fast romanische Stilisierung, die die Bildgegenstände zu eigentlichen Bild-Gegenständen und damit wesentlich realer machen als jeder (vergebliche) Versuch, illusionistisch Nähe zum realen Gegenstand zu evozieren. Die Figuren sind in Frontalansicht gezeigt und bleiben damit explizit in der Bildebene, der einzigen realen Dimension des Gemäldes. Ohne selbst in das Bezugssystem einer Zentralperspektive eingebunden zu sein, deuten sie damit gleichzeitig aber auch die Bewegung in der Tiefe an, eine Bewegung, die im Gemälde vor allem mittels Farbwirkung erzeugt wird. Das Misstrauen gegenüber absoluten Ansprüchen macht Küng auch zum Maler, weil er die Idealisierung der linearen, klar umrissenen Körper-Zeichnung als unehrlich empfindet. Er arbeitet figürlich, ohne aber die Figuren in ihrem Eigenwert fixieren zu wollen. Ihn interessiert ihre pulsierende Erscheinung und die Frage nach deren Umsetzung in die Sprache der Malerei. Nicht die Wirklichkeit des Gegenstandes oder der Legende, sondern die Bild-Wirklichkeit stehen im Vordergrund seiner Arbeit.
Stephan Kunz