Kolodziejska Anna

15. Dezember 2016 bis 21. Januar 2017

im Wandumdrehen zum Lullpunkt____eine thematische Gruppenausstellung im Zeichen von Dada in Zusammenarbeit mit der Alpineum Produzentengalerie

 

dada

2016 wurde das Dada-Jubiläum gefeiert, was nicht zu ignorieren war und wozu jeglicher Archivbestand ans Licht geholt wurde. Einem Konzept von Dada entsprechend, dass Kunst für den Moment und nicht für Lager produziert werden sollte, sind diese aber, konsequenterweise, schlecht gealtert. Genau so wie die Idee von Dada, sich in Netzwerken und Gruppen aufmerksam und immer wieder neu mit der Gegenwart zu beschäftigen, mit ihren Fragen und Problemen, ihren Medien und Darstellungen, ihren Geschichten und Verwirrungen, mit ihrer Kritik und Komik. „im Wandumdrehen zum Lullpunkt“ ist diesem Geist von Dada nachgegangen und präsentiert im Alpineum und im o.T. aktuelle künstlerische Strategien und zeitgenössische Kunstwerke, die im Zeichen von Dada stehen.

30 Künstlerinnen und Künstler aus Luzern, der Schweiz und dem Ausland zeigen Arbeiten, in denen sich von Dada ausgehende Impulse manifestieren: Sei dies, weil sie performativ sind und nur im Moment stattfinden, sich gegen gefestigte Ideale und Normen richten und sich nicht am Kunstmarkt orientieren oder mit Ironie und feinem Gespür Alltägliches thematisieren und Techniken aufgreifen, die auf Dada zurückgehen. Und schlussendlich auch, weil sie den von Dada verfochtenen Unsinn als Mittel oder Massnahme gegen den Unsinn verstehen, der in einer Gesellschaft nicht mehr als solcher erkannt wird.

Als knallig-buntes Schlussbouquet zum Jubiläumsjahr ruft „im Wandumdrehen zum Lullpunkt“ in der Alpineum Produzentengalerie und im o.T. Raum für aktuelle Kunst nochmals kräftig: jolifanto bambla o falli bambla!

dada-2

Künstler/innen
ALMA (Alf Hofstetter und Max Markus Frei), Ian Anüll, Thomas Behling, Roland Pirk Bucher, Marc Elsener, Karin und Didi Fromherz, René Gisler, Furyherz (Gabi Fuhrimann / Christian Herter), Haus am Gern (Rudolf Steiner und Barbara Meyer Cesta), Anna Kolodziejska, lutz & guggisberg (Andres Lutz & Anders Guggisberg), Andreas Marti, Benedikt Notter, Corinne Odermatt, Thaïs Odermatt / Carlos Isabel, Sabina Oehninger, RebeccaRebekka, Claude Sandoz, Theo Schärer, Jean-Frédéric Schnyder, Markus Schwander, Cecile Weibel, Johannes Willi

Weitere Veranstaltungen
Do 22.12. 2016, 19 Uhr, Alpineum Produzentengalerie:
Trink-Theke: Diskussion, Kontexte, Kaffee und Dada, mehr Infos: trink-theke.tumblr.com

Sa 21.1. 2017, 16 Uhr, o.T. Raum für aktuelle Kunst:
Collage – ein Gespräch mit Markus Schwander, Lorenz Wiederkehr (Kunsthistoriker), Stefan Meier (ehem. Leiter Alpineum) und Sabrina Barbieri (Kunstpädagogin) anlässlich der Buchpräsentation „Shattered Flow“ von Markus Schwander

18. Oktober bis 15. November 2009
Kolodziejska Anna___Antons Traum

Der Titel der Ausstellung „ Antons Traum„ nimmt Bezug auf die frühere Funktion des Ausstellungsraums, der bis in die siebziger Jahre hinein als Schlafsaal für die dort stationierte Schweizer Kavallerie diente. Dabei sollen die Objekte nicht einen Traum bebildern oder visualisieren, sondern vielmehr wie ein Nachbild auf der Netzhaut funktionieren, oder wie Traumerinnerungsfetzen, die auch noch dann auftauchen, wenn man sich bereits der Realität des Tages gewidmet hat und der Traum längst verblasst ist.

Dompteurdämmerung…
Der moderne Mensch ist ein Ding-Dompteur. Für ihn gilt: Dinge existieren, um zu dienen. Er bändigt und beherrscht sie, erforscht, seziert und klassifiziert, verfasst Enzyklopädien und Do-it-yourself-Ratgeber, stöbert in Atomen, Quarks, Strings, und baut am Ende kühlere Kühlschränke, heissere Herde und automatischere Automobile. Mit Martin Heidegger gesprochen: Der moderne Mensch fasst „in seinem Greifen nicht das wesende Ding, sondern er überfällt es“. Die Moderne. Störfaktoren werden eliminiert, Verfahrensprozesse optimiert, der Asphalt wird glatter, die Pillen bunter, die Bildschirme flacher, das, was sie zeigen, meist auch. Gleichzeitig werden die Dinge in den Konsumgesellschaften „zu einem verheissungsvollen Anthropomorphismus verlebendigt“. Manchmal vermeint man die Dingwelt ächzen zu hören:

Auszeit, bitte! Ich bin ein Ding, hol mich hier raus!
Eine der raren Auszeiten für die Dinge bietet das Kunstsystem. Spätestens seit Marcel Duchamps Readymades gilt das auch für das „ Zeug“, also für die Gebrauchsgegenstände. Im White Cube wird ausgewählten Dingen die säkulare Gnade der Zweckmässigkeit ohne Zweck zuteil. Während derzeit Künstler aus dem White Cube drängen wie eine Herde verschreckter Rinder durch ein offenes Gatter, geniessen die Arbeiten von Anna Kolodziejska weiterhin dessen Stille. Der Purismus des Ausstellungsraums ist hier kein Selbstzweck, sondern hat eine ästhetische Funktion: Die Leere vermittelt zwischen den Exponaten, indem sie sich aus der Kommunikation zurückzieht. Auch Anna Kolodziejska ist an der Transformation der Dinge interessiert. Doch nicht im Sinne des Heideggerschen „Überfalls“. Statt mit den Dingen zu operieren, kooperiert sie mit ihnen. Wenn sie in das Gefüge der Dinge eingreift, das Ding also in Richtung Werk verrückt, ohne dabei seine ursprüngliche Funktion vergessen zu machen, verweist sie um so deutlicher auf seine Eigengesetzlichkeiten.

Anna Kolodziejska entrückt Dinge nicht nur durch kontextuellen Transfer, wie ihn Duchamp prägte, sondern entführt sie aus dem Bezirk des Selbstverständlichen durch mal brachiale, mal minimalinvasive Eingriffe. So leuchtet die Kontingenz des Alltäglichen auf. Eine einfache, aber wirksame Dialektik. Ein Stuhl verdreht ein Bein, als wolle er sich in Bewegung setzen.


Eine Kommode hat sich, kokett dem Betrachter ihren entblössten Rücken zukehrend, als Kamin verkleidet. Ein durchbrochener Spiegel zeigt dem Betrachter die Wand. Ein Teppich hat sich davongestohlen und nur seine Randpartien als Andenken zurückgelassen. Gerade wenn Stühle nicht mehr zum Sitzen und Teppiche nicht mehr zum Begehen einladen, tritt uns ihr „ Wesen“ klarer vor Augen. Um dieses diffuse „ Wesen“ geht es Anna Kolodziejska zuvorderst. Nicht um die Symbolkraft der Dinge als Zeichen. Nicht um das numinose „Etwas“, das sie über sich selbst erhebt. Sondern um das, was in ihnen verborgen liegt, aber auch von der Kunst nicht entborgen werden kann: „Zum Wesen des Dings gehört sein Verschlossensein. Wenn wir es zunächst einmal gar nicht verstehen, haben wir schon einiges verstanden. Das Denken beginnt mit dieser Verwunderung.“ Der Reiz dieses Verschlossenseins der Dinge und des Zeugs ist der rote Faden, der sich durch Anna Kolodziejskas Arbeiten zieht. Sie ringt den Dingen etwas ab, ohne sie niederzuringen. Dieser Ringkampf geht laut- und zumeist berührungslos vonstatten. Sieger und Trophäen gibt es keine.

Was für Dinge aber sind es, denen wir hier begegnen? Selten sind es die jungfräulich-sterilen Produkte aus Shoppingmalls, die nicht gefertigt sind, um „ästhetisch ansprechend [zu] altern. Statt zu patinieren, verschmutzen sie oder gehen kaputt.“ Bei Anna Kolodziejska treffen wir auf verschämte. Schrullige, sperrige, gescheiterte, verunsicherte, veraltete und schüchterne Dinge. Uhren, Knöpfe, Kisten, Spiegel, Papierkörbe, die uncoolen Underdogs und Nerds der Dingkultur. Sie zieren sich, stottern ein wenig, ringen um Worte, wenn sie ihre Geschichten erzählen.

Die Reibung, die der Ding-Dompteur beseitigen will, ist für Anna Kolodziejska eine ästhetische Qualität. Schillernde und glamouröse Design-Dinge, die etwa Sylvie Fleury in den White Cube trägt, entbehren dieser Qualität. Und deshalb zieht sich Anna Kolodziejska aus der Manege zurück. Die Dinge kommen zu ihr, nicht vice versa. Als Künstlerin kann sie nur wach sein, nur da sein. Es mag zwar verwegen anmuten, Anna Kolodziejska an dieser Stelle erneut mit Heidegger zu konfrontieren, doch führte selbiger nicht ähnliches im Schilde? „Das Ding selbst muss bei seinem Insichruhen belassen bleiben.“ Dieses Insichruhen aber tritt nur in der Dialektik des Kunst-Werks und des Kunst-Orts zutage. So ist es nur logisch, dass Anna Kolodziejska ihren Ding-Werken keine bedeutungsschwangeren oder irritierenden Titel gibt, wie in der Konzeptkunst durchaus üblich, sondern in der Namensgebung die Namensgebung negiert: Untitled, Tischplatte. Untitled, Spiegel. Untitled, Stuhl. Denn wäre eine begriffliche Fixierung nicht ein erneuter Überfall auf das Ding?

Jörg Scheller
Der Text erschien in der Publikation – Ich bleibe zuhause und hüte die
Kinder – anlässlich der Ausstellung von Anna Kolodziejska im Bahnwärterhaus, Villa Merkel, Esslingen am Neckar.