2. März bis 6. April 2019
Nelly Haliti____ON THE RUN
Die Arbeiten von Nelly Haliti siedeln sich oft irgendwo zwischen Figuration und Abstraktion an. Dabei bedient sich die Künstlerin unterschiedlicher Medien, die sich in mehrteiligen Installationen ergänzend oder wechselseitig auswirken. Die gestalterischen Mittel reichen dabei von Malerei und Fotografie, bis hin zu Video und dem für die Künstlerin eng mit der Thematik des Verschwindens verknüpften 16 mm-Films. Für den o. T. Raum hat sie eine Arbeit geschaffen, die reduziert und klassisch wirkt. Entgegen des Titels ON THE RUN, der in meinem Kopf sofort Bilder von fliehender Schnelligkeit und Bewegung wachruft, umgibt mich beim Eintritt in den Raum eine mysteriöse Stille.
In dem Licht durchfluteten, grosszügigen Raum gibt es nichts, was meine Sicht verstellt. Gänzlich geweitet kommt mein Blick auf dem Hauptwerk an der Stirnwand zu liegen. Trotz seiner stattlichen Grösse von 230 x 630 cm, verhält sich das monochrom weiss gehaltene Gemälde zurückhaltend. “Wenngleich es sich bei der Leinwand um das klassische Medium der Malerei handelt, würde ich hier nicht von Malerei sprechen”, meint die Künstlerin. Tatsächlich sind wir von Nelly Haliti vor allem abstrakte Ölmalereien gewohnt – denkt man z.B. an eine Bildserie, bei welcher sie sich während eines Stipendiumaufenthalts in Rom von den Schatten und Lichtzeichnungen an ihren Atelierwänden inspirieren liess.
Auch in der hiesigen Arbeit scheinen Licht und Schatten, vor allem aber Oberflächenstrukturen eine Rolle zu spielen. So legt die Künstlerin, ohne einen einzigen Punkt Farbe zu setzen, ein kleinteiliges Muster in die ganze Leinwand. Hierfür hat sie die Leinwand mit einem Hammer bearbeitet. Durch den fast bildhauerischen Akt sind unzählige kleine Löcher entstanden, die aus grösserer Distanz unkenntlich werden. Die Ruptur zieht sich unregelmässig über die gesamte Leinwand. An der gegenüberliegenden Wand setzt sich die Ästhetik in drei Hochformaten fort. Ich denke an eine Mondlandschaft und anderweitig entrückte Orte, die durch ihre Gleichförmigkeit nichts von ihrem Innenleben preisgeben. Bei langer Betrachtung gewinnen die scharfen Einschlagspuren an Präsenz, lassen den vorangegangenen Akt der subtilen Zerstörung lauter werden. Das erst als ruhig empfundene Setting kriegt in der Nahansicht förmlich Risse. Vor dem Fenster wiegen die Bäume.
Beim Verlassen des Raums streife ich eine Wand, an welcher sich mehrere Siebdruckplakate an- und übereinander reihen. In verschiedenen Grautönen zeigen sie die immer selbe Schwarzweiss-Fotografie. Zu sehen ist der Schauspieler River Phoenix. Die Impression entstammt dem Roadmovie “my own private idaho” (1991) von Gus Van Sant. Dieser erzählt die Geschichte von Mike Waters und Scott Favor, zwei Freunden, die sich auf einen bewegenden Roadtrip begeben. Der Mann auf dem Bild hält Augen und Mund geschlossen, die Hände hat er in die Hosentaschen gesteckt. Ausgestreckt liegt er auf einer porösen Strasse. Unweigerlich führt mich die Bodenästhetik zum ersten Werk und dessen bearbeiteten Leinwand zurück. Ohne den Film zu kennen, frage ich mich, ob die abgebildete Person schläft, oder von dem an ihrem Kopf befindlichen Stein niedergeschlagen worden ist. Wird der Mann bald aus seinem Traum erwachen, oder ist er in eine Welt entstiegen, aus der er nie mehr zurückfindet? Ein einziges Bild hat mein Kopfkino in Gang gebracht und den Titel ON THE RUN neu aufgeladen. Tatsächlich spiegelt das Bild eine Filmsequenz wieder, in der die Filmfigur Mike in Narkolepsie verfallen ist. Dabei handelt es sich um eine nervlich bedingte Atmungsstörung, die in Stresssituationen ausgelöst wird und den Betroffenen in einen tiefen Schlafzustand versetzt. Im Film wird Mike wiederkehrend von dieser “Schlafsucht” ereilt und in heftige Träume und Kindheitserinnerungen entführt. Unvermittelt wird er aus der Realität gerissen und in eine Parallelwelt geworfen, aus der ihn sein Freund immer wieder zurückholen muss.
Nelly Haliti schafft mit ihrer Schau eine Umgebung der bewegungslosen Stille, wobei die Werke in unterschiedlicher Form dem realen Raum zu entfliehen scheinen. Durch das Absuchen der Oberfläche wird Hintergründiges sichtbar: das Finden von Spuren und beschädigten Stellen macht es möglich, den zwar erfolgten, doch wieder verklungenen Aktionen nachzuspüren.
Julia Schallberger