22. November bis 22. Dezember 2018
Maya Hottarek___IG HUL
Die Künstlerin Maya Hottarek hat einen bildstarken und philosophischen Film geschaffen, der sich mit einem kulturell weitverbreiteten Volksglauben auseinandersetzt. Die Rede ist von dem Glauben an den “Bösen Blick”. Wie die überlieferte Historie glauben macht, soll der besagte Blick von Menschen, die von Gefühlen wie Missgunst, Eifersucht und Argwohn besessen sind, ausgelöst werden können. Wer von ihm getroffen wird, ereilt – so die Geschichte – ein unabwendbares, unheilvolles Schicksal. Als Instrument des Gegenzaubers sind verschiedene Praktiken überliefert. In orientalischen Ländern ist es vornehmlich ein aus einem blauen Glasauge bestehendes Amulett. Dieses sogenannte “Nazareth Auge” (arab. Nazar = Sehen, Blick, Einsicht) bildet denn auch das Leitmotiv von Maya Hottareks Film IG HUL (2018).
Die Feldforschung, die praktisch jede der Arbeiten Maya Hottareks vorbereitet, siedelt sich dieses Mal in Athen an. Hier lebte und arbeitete die Künstlerin während neun Monaten und hier entdeckte sie ihr Interesse für die Kulturgeschichte des “Bösen Blicks”. Auf der Suche nach Herkunft und Ausprägung dieses in vielen Kulturen verankerten Glaubens wälzte sie Bücher und befragte Leute, denen der nahezu vergessene Kult noch vertraut ist. Der Ursprung wird in prähistorischer Zeit vermutet. Auf Keilschrifttafeln von 3000 v. Chr. fand man angeblich die Worte „IG-HUL“, was wörtlich übersetzt “Auge böse” bedeutet. Der Glaube findet sich in Griechenland, der Türkei, Südamerika oder Nordafrika, aber auch in unseren Breitengraden, wo er vorwiegend Frauen angehängt wurde. In Verfolgung und Ächtung mündend, lassen sich seine Ausläufer bis in den Hexenkultus nachverfolgen.
Im Film folgen wir einer jungen Frau Schritt auf Tritt bei ihrem Gang durch die Strassen Athens, hinaus in die Peripherie und zum Schluss in die rurale griechische Landschaft. Der Blick der Frau wird von dem Augenkontakt mit den vorbeigehenden Passanten abgeschirmt. Sie trägt eine mit etlichen Nazareth-Augen behängte schwarze Jacke mit hochgeschlagener Kapuze. Das Gewicht dieses Kettenhemdes wiegt sichtbar schwer. Untermalt wird das bedrückende Gefühl von einer aus Windgeräuschen und Synthesizern bestehenden Tonspur. Komponiert wurde diese von Soundkünstler Timon Kurz. Aufhellende Klänge gesellen sich erst hinzu, als die Protagonistin die argwöhnischen Blicke hinter sich lässt und sich alleine in einem Stadtpark wiederfindet. Das Windgeräusch nimmt zu, während die Kamera auf den im Wind wiegenden Olivenbäumen verharrt. Das anhaltende Rauschen vibriert zwischen meditativer Gleichförmigkeit und störender Unruhe. Licht und Musik des Films steuern im Prozess des Betrachtens unsere Empfindung. Im Moos liegend öffnet die Protagonistin schliesslich den Reissverschluss ihrer “Rüstung”. Wird es eine Wendung geben? Die schwarze Kleidung abgelegt, durchstreift die junge Frau in einem dünnen, weissen Jumpsuit die mediterrane Buschlandschaft. Die letzte Einstellung zeigt, wie sie sich zwischen Büschen ausruht – von der Sonne erhellt, von der Natur umfangen. Wie ein Fremdkörper schiebt sich da das Smartphone ins Bild und schlägt den Bogen zurück zur Zivilisation. Ich frage mich: Wie ist denn mein eigener Bezug zur Natur? Zu mir selbst? Verleiht mir die Natur Schutz, Geborgenheit? Gelingt es mir, mich in ihr von den alltäglichen Sorgen und Wertungen frei zu machen? Ruhe ich in mir, oder zücke ich im nächsten Moment mein Handy, um mit einem Selfie meine Naturverbundenheit in ein öffentlich inszeniertes Selbstbild zu übertragen?
Mit ihrem Film transportiert Maya Hottarek einen uralten Volksglauben in die uns vertraute, heutige Gesellschaft. Dass uns der Rückzug ins Alleinsein vor dem Blick anderer bewahre, ist nur eine Lesart. Doch geht es in dem Film nicht letzten Endes darum, das Misstrauen in andere Menschen grundsätzlich abzulegen, die Angst vor Verletzungen ganz loszulassen? Tatsächlich meint die Künstlerin, spreche sie nicht von der Flucht als Lösung, sondern von dem gewinnenden Vertrauen in Mensch und Natur und der Aufforderung, sich selbst von dem Argwohn gegenüber anderer Leute zu befreien. Schliesslich würde sie gerade unter Frauen eine Tendenz zum gegenseitigen Misstrauen beobachten, so die Künstlerin weiter. Viele Frauen seien Einzelkämpferinnen – ob aus Selbstzweifel, Scheu oder Eifersucht. Das sei schade, würden sie doch dadurch um das wohlige Gefühl der weiblichen Gemeinschaft gebracht. Ich schmunzle, denn ich weiss, was sie meint. Der Film rollt auf, zieht einen in seinen Bann und wirft einen schliesslich auf sich selbst zurück.
Julia Schallberger