Dettmeier Christoph

13. Juni bis 13. Juli 2008
Dettmeier Christoph___Badlands

Der 1966 in Köln geborene und heute in Berlin lebende Christoph Dettmeier ist in den vergangenen Jahren mit irrwitzigen Performances hervorgetreten: „Countrykaraokeshows“ nennt er seine Auftritte, in denen sich Dia- und Videoprojektionen mit absonderlichem Overvoice-Gesang von Country- und Western-Klassikern sowie sporadischen Lesungen verbinden. Diese kreisen um die Mythologisierung des Wilden Westens, indem er beispielsweise das Thema der Frau im amerikanischen Western anhand von behutsam recherchierten Dichterinnenquellen zu einer inhaltlich konzentrierten, stets jedoch lustvoll-verspielten Präsentation verdichtet.
Daneben entstehen kleinformatige Arbeiten auf Papier, in denen der Künstler in Erinnerung an Western-Filme die Prärie vor leuchtend monochromem Bildgrund zeichnet und mit eigentümlichen „Skulpturen“ bevölkert, die als futuristische Raumstationen eher aus der TV-Serie „Raumschiff Enterprise“ zu stammen scheinen. Diese übersetzt er auch in dreidimensionale Skulpturen, die aufgrund ihrer Low-Tech-Materialität von geradezu enigmatischer Erscheinung sind. Liebevoll zitiert und persifliert der Künstler Seherfahrungen einer Generation, die mit dem Kino wie auch den Serienhelden des Fernsehens aufgewachsen ist. So auch in seinen Collagen: Die Winchester im Anschlag, den Stetson tief ins Gesicht gezogen, erheben sich schwarze Gestalten bedrohlich am Horizont. Nur die Landschaft irritiert, es handelt sich um deutsche Industriebrachen. Christoph Dettmeier hat in kühnen Scherenschnitten düstere Schattenfiguren in seine Fotografien eingebaut, während er in den aktuellen Fotografien sogar auf die Staffage verzichtet – die Landschaftsbilder selbst sind stark genug, um an die Kulissen berühmter Filme zu erinnern, selbst wenn sie in Brandenburg aufgenommen sind.
Bei der Ausstellung Badlands von Christoph Dettmeier im o.T. Raum für aktuelle Kunst handelt es sich um seine erste Schweizer Einzelpräsentation.

„Badlands“
Ich arbeite in erster Linie mit Kameras, verschiedenen Foto- und einer Videokamera. Trotz der Technik, die man mit dem Medium verbindet, ist das Fotografieren ein sehr emotionales Arbeiten. Ich glaube, dass deshalb die klassische analoge Ausbelichtung, die möglichst direkt den Moment des Auslösens überträgt, die adäquate Form der Präsentation ist.
Die Arbeit mit der Videokamera ist dem Fotografieren sehr ähnlich. Ich arbeite gern mit fester Kamera auf Stativ. Dass man Musik beim Schneiden verwenden kann, birgt die Möglichkeit, dem emotionalen Raum im Sinne einer cineastischen Wahrnehmung mehr Geltung zu verschaffen. Reduziert man das Videobild auf seine 24 Frames pro Sekunde, hat man 24 Bilder, die, langsam genug abgespielt, eine Diashow sein könnten. Also kann man Fotos nehmen und das Dia-Karussell per Intervallschaltung und Lautsprecher wieder zum simplen Videoclip machen.
Studiert habe ich Bildhauerei und Multimedia/Performance bei Rebekka Horn in Berlin und Bogomir Ecker in Hamburg. Nach dem Studium bin ich aus Affinität zum Ruhrgebiet dorthin gezogen. Ich glaube, ich war fasziniert von der Vorstellung einer Weite, die plötzlich durch den Zusammenbruch der Industrie entstanden war und dem damit verbundenen Gefühl von romantischer Freiheit.


Die anschliessende künstlerische Auseinandersetzung mit einem leeren, im Sinne von nicht mehr eindeutig definierten, urbanen Landschaftsraum liess mich geraume Zeit den Mythos des Western als Schablone für das zu untersuchende Phänomen benutzen. Die Rolle der Landschaft, ihre emotionale Wahrnehmung trat immer stärker in den Vordergrund. Die Inszenierungsmöglichkeiten des Individuums in der Landschaft als Raum und das cineastisch bildnerische Potential wurden zum Zentrum der künstlerischen Tätigkeit. Ein Landschaftsgemälde von Caspar David Friedrich und Kameraeinstellungen in „Searchers“ von John Ford liegen, was die Funktion der Landschaft und ihren Einfluss auf das Individuum angeht, nicht so weit auseinander. Die unermessliche Weite und der kleine Mensch prägen in beiden Fällen das Bild. Der Italo-Western der 60er Jahre setzte dem eine eigene, rein empfundene oder erfundene Westernlandschaft entgegen. Mit Mitteln der Inszenierung durch die Kamera wurde eine karge, eher kleinformatige, europäische Landschaft erfolgreich uminterpretiert. Dieses Prinzip konnte ich im Ruhrgebiet auf das typische Bild einer leeren Industriebrache teilweise so problemlos anwenden, dass es für mich wichtig wurde, zu untersuchen, warum manche meiner Aufnahmen dieses Interpretationspotential besassen und andere wiederum weniger. Ich stellte fest, dass diejenigen Orte, die die stärkste Faszination und das grösste Potential für mich mit der Kamera hatten, eine ganz eigene, brüchige Atmosphäre besassen. An ihnen schien ein Zeitfenster zwischen dem bereits Vergangenem, das aber auf die eine oder andere Weise noch sichtbar oder spürbar ist, und etwas Neuem, das sich mehr oder weniger deutlich bereits ankündigt, aufzugehen und so die umgebene Realität aufzuheben.
Durch die Technik der Collage, die einen minimalen, aber nachvollziehbaren Eingriff in die Fotografie darstellt, lässt sich das Nichtsichtbare dieses Phänomens aus dem Versteck locken.
Dieser Moment des Surrealen gibt dem Künstler genau die Freiheit, die es ihm möglich macht, mit seinen Bildern mehr zu machen, als nur zu dokumentieren. Ich glaube, dass interessante Kunst zeitlos und ortsungebunden funktionieren sollte. Die Dokumente des Kontextes sind sowieso in der Arbeit verankert, aber an dieser Stelle wird die Erfindung wieder möglich. In meiner Arbeit können diese Erfindungen die Welt der Fotografie verlassen. Sie können Zeichnungen, Papierarbeiten oder plastische Modelle sein und so in eine Art Dialog mit den fotografischen Arbeiten treten.
Die futuristische Anmutung in all dem ist gewollt. Liesse sich nicht der Mythos der Frontier und dem damit verbundenen unbegrenzten Möglichkeitsraum problemlos durch das Science-Fiction-Genre fortsetzen? In William Gibsons „Neuromancer“ sind die Consolenjockeys „Cowboys“ und der Cyperspace ein endloses Monument Valley. Und in keinem anderen Buch als „Picknick am Wegesrand“ haben der gralssuchende Ritter, so wie der ewig suchende „Westerner“ („Searcher“) eine Symbiose in der Welt der erfundenen Zukunft gefunden.
Das Dia-Karussell zur Ausstellung heisst „Picknick am Wegesrand“, die Collagen, die ihm zugrunde liegen, gemäss der Tarkowski-Verfilmung des Romans „Stalker“ und die futuristische Holzmodellkonstruktion einfach „Stadt“.
Christoph Dettmeier


www.christoph-dettmeier.de