Deroubaix Damien

4. Juni bis 8. Juli 2007
Deroubaix Damien___Die Nacht

Das zeichnerische Schaffen von Raymond Pettibon, das den amerikanischen Traum bzw. Alptraum Bild werden lässt, ist einer der inhaltlichen Bezugspunkte für das Werk des jungen französischen Künstlers Damien Deroubaix. Geboren 1972 in Lille besuchte er die Kunsthochschulen in Saint-Etienne und Karlsruhe und gilt als einer der aufregendsten jungen Künstler Frankreichs. Nach Ausstellungen und Ausstellungsbeteiligungen u. a. 2007 in La Transpalette in Bourges, 2004 im Künstlerhaus Bethanien, 2003/04 im Musée de l‘Art Moderne et Contemporain in Strassburg wird Damien Deroubaix bei o.T. seine erste Einzelpräsentation in einem Schweizer Ausstellungsraum bestreiten. Hervorgetreten ist er vor allem mit seinen dichten Zeichnungen, in denen er unterschiedlichste Welten – Darstellungen aus der Nazi-Vergangenheit, aktuelle Newsflashes von den globalen Kriegs- und Politschauplätzen, pseudowissenschaftliche Naturkundepräsentationen – mit kunsthistorischen Versatzstücken oder Bildern aus der Trashkultur von Underground- und Pornomagazinen verbindet und sie mit assoziationsreichen Texten und Textfragmenten kombiniert. Seine oft umfangreichen Werkblöcke fügt er in den Ausstellungen mit einzelnen Objekten zu umfassenden, zuweilen drastischen Environments zusammen. So hat er beispielsweise eine raumgreifende Struktur geschaffen, in der er Titel, Motive und das Plattencover der Heavy Metal Band Terrorizer in eine eigenwillige Installation übersetzt: „Injustice“, „Human Prey“, „Need to Live“ und „World Downfall“. Sie lassen eine Welt anklingen, in der der existentielle Alptraum tagtäglich am eigenen Leib zu erleben ist, wie es Thibaut de Ruyter in einem umfangreichen Essay zum Künstler ausführt:

Sei es ein riesiges „PROLETAIRES“ in einer orangefarbenen Blase, ein hübsches „WERBUNG“, ein viel versprechendes „ULTRAMOD“ oder ein zündendes „YEAH!“: Damien Deroubaix scheut sich nicht, die Konsumgesellschaft mit den Überresten des kommunistischen Modells zu verbinden. Zum Glück erspart er uns Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht, und begnügt sich mit einem pausbackigen Karl Marx… Hierin liegt eine Antinomie, die das gesamte Werk des Künstlers durchdringt. Eine bestimmte Art und Weise, etwas zu sagen und zu tun: Hier ist das eleganteste und sauberste Ding der Welt, darauf klebe und damit assoziiere ich etwas Scheussliches. Hier sind ein paar schmissige Bilder, die ich hinter grässlichen Kebap-Lampen verstecke. Hier ist das schönste Mädchen der Welt, minus ein Bein. (Ich denke, ich bin nicht der einzige, der von der Figur Aimee Mullins fasziniert ist.) Hier ist Marx, auf den Status einer Konsumikone herabgestuft. Diese wiederkehrenden Gegenüberstellungen verfolgen ein Ziel: dass der Blick die vordere Ebene nie verlässt und den Gorilla übersieht, der sich kopfüber dahinter versteckt. „ Je ne vois pas la femme cachée dans la forêt „ (Ich sehe nicht die Frau, die sich im Wald versteckt), malte einst ein bekannter Surrealist, dabei war nicht einmal ein Wald auf dem Bild zu sehen.


Damien Deroubaix ist so etwas wie der deutscheste aller französischen Maler. Seine Arbeit erinnert nicht an Richter, Immendorf oder Polke, aber ein Grossteil seiner Wörter, Bilder und Figuren entstammt den Ikonen deutscher Kultur. Es geht hierbei sicherlich um Provokation (ich denke hier an das bekannte Bild eines Punks, der ein Hakenkreuz auf seiner Unterhose mit Eingriff trägt), aber auch um Kultur. Denn nur Deutschland hat, sowohl in der Literatur als auch im Film, die Gewalt so weit getrieben (von Müller über Dada bis hin zu Fassbinder), nicht als Verkaufsargument, sondern um sie gegen jene zu richten, die sie im Alltag entstehen lassen. Das Übel mit dem Übel bekämpfen, indem man ihm ins Gesicht spuckt.
Weil die Mädchen Masken aus Leder oder mit zentimeterlangen Nadeln bestücktem Latex tragen. Weil sie darüber hinaus ziemlich verstümmelt sind. Weil der Hai, der über der Installation Let there be rot im Berliner Künstlerhaus Bethanien und in der Kölner Rheinschau an die ersten Filme von Steven Spielberg erinnert (auch wenn das Plastiktier aus Jaws nicht annähernd so schön ist). Weil die Titel der Lieder (kann man das eigentlich „Lieder“ nennen?) – die zu gebrandmarkten Slogans abgewandelt wurden – von Napalm Death und anderen Grindcore-Gruppen stammen. Weil die Glühbirnen den Geist aufgegeben haben und nur noch ein schwarzes Licht versprühen. Weil der schlechte Geschmack der Satire-Zeitschriften, die den Tod des „Arschlochs Ronald Reagan“ verkünden, zwanzigfach vergrössert und auf ein Holzbrett aufgezogen wurde… Man könnte meinen, diese ganze Geschichte sei Teil der Gegenwart. Oder es ginge darum, die Hässlichkeit und die Gewalt zu zeigen, die uns umgeben, von den wütenden und tollwütigen Hunden über die provozierenden Zeichen des Konsums bis hin zur schäbigsten Pornografie. Das wäre jedoch mit Blick auf die Geschichte zu kurz gegriffen, hiesse, sich der allgegenwärtigen Melancholie hinzugeben, nach dem Muster: „Glaubt mir, junge Leute, damals war doch alles besser…“ Nein, wirklich; die Welt ist seit langem so.
Was Dada und das Kalifornien Mike Kelleys, Raymond Pettibons und Paul McCarthys mit dem Lärm von Napalm Death, Terrorizer oder Slayer verbindet, ist die Sorge um Provokation. Ich schreibe ausdrücklich „Sorge“ – dieser Zustand, bei dem wir stundenlang die Stirn in Falten legen und die Zeit vergessen. Das, was uns nachts den Schlaf raubt und Magenschmerzen bereitet. Denn so hingeschleudert sie auch sein mögen, die flüssigen Bilder Damien Deroubaixs weisen eine fortwährende Sorge um die Welt auf. So provozierend seine Assemblagen auch sein mögen – es geht nicht darum, sich einen kleinen, persönlichen Wunsch zu erfüllen, sondern Stellung zu beziehen. Man kann irrtümlich, grundlos, absichtslos provozieren. Man kann zuhause bleiben mit seinen Sorgen und düsteren Gedanken zur Welt. Die grösste Schwierigkeit besteht darin, die beiden – mit der Sorge um Provokation – in einem Kunstwerk zu vereinen.

Thibaut de Ruyter
Übersetzung von Boris Kremer

http://damienderoubaix.com