Bailly Josse

8. März bis 7. April 2018
Josse Bailly___entre l’Elbe et l’Odeur

Eine ungezähmte Flut von Figuren, Zeichen, Tieren und Monstern kommt in Josse Baillys Gemälden zur Welt. Es sind von der Spontanität seiner automatistischen Zeichnungen, deren Konvolut jeden Abend vor dem Fernseher wächst, nicht allzu weite Expeditionen in die Farbe und die Masse. Malte er früher zu diesem Vorgehen passend meist im Sitzen in Formaten, die noch an solche von gewöhnlichen Papieren in permanenter Griffnähe erinnern, arbeitet er seit seinem halbjährigen Aufenthalt im weitläufigen Berlin 2016 plötzlich auch mit dem Einsatz des ganzen Körpers auf riesigen Stoffbahnen und anderen Unterlagen, die ihm dazu günstig erscheinen. Auch ein neuer Hang zu Experimenten mit durchsichtigen Trägern und Oberflächen, so dass die Gemälde zu einer wie Glasfenster den Innenraum mit der Aussenwelt verbindende Membran werden. So hat Josse Bailly die vielen Fenster seines Berliner Ateliers in der Nacht als Signalfläche benutzt, um zum Fest, Klamauk und Kabarett seiner Malerei zu laden. Und seit seiner Rückkehr an seinen angestammten Lebensmittelpunkt geht der Mond auch im zwischen den Alpen und dem Jura eingekesselten Genf über erleuchteten Bildelementen von Josse Bailly auf.

Seine freie Figuration bietet genauso roh und provozierend, intensiv und ungeschliffen dar wie bei ihrem letzten Feuerwerk in den achtziger Jahren. Wie dies auch bei anderen der jungen Kunstschaffenden zu beobachten ist, die trotz der nach wie vor fehlenden Kanonisierung dieser Bewegung an diese andocken, kommt sie jetzt jedoch viel nonchalanter und detachierter daher. Sie konzentriert sich weniger mit Inbrunst auf das Freilegen eines a priori von Liebesverlangen und Todesahnungen getriebenen Menschen. Sie gleicht eher einem oft von beissendem Humor regierten Ausströmen von Wahrnehmungen, Zeichensprachen und Medieneindrücken vom Fernsehen und dem Internet über die Presse, Bücher und Werbung auf Verpackungen bis zur Kunst, die sich zusammen zu einem scharfsinnigen Kommentar der Gegenwart verdichten. Trotz ihren grausamen Widersprüchen und all den sich in das Unendliche auftürmenden Problemen will diese mit einer nach wie vor offenen Tür für Utopien ausgekostet werden.

Bei Josse Bailly formiert sich auf der Blässe des Zuckerguss und des Cappuccinoschaums in urbanen Kaffeehäusern plötzlich wildes Leben, das in knallbunten Bildern zu paradieren beginnt: Bärchen und Äffchen, die aus den Kanälen prosaischer Stadtplanung geworfen werden wollen, und Paradiesvögel, die bereits in überbordender Vegetation ihre Nester bauen. Selbst die blauäugige Hauskatze wir auf einem wandfüllenden Werk in einer flammenden Aureole zu einer Tiergöttin. Auf anderen Bildern wiederum landen Ausserirdische in schillernden Metallfarben. Das braune Gemälde von Rassengewalt in Amerika zwischen der Polizei und der schwarzen Bevölkerung, auf das anstelle von Spucke gleich drei Tuben Zahnpasta gedrückt sind, ist dagegen eine Anspielung an die umstrittenen Arbeiten von Kelley Walker, die vor noch nicht allzu langer Zeit gleich seriell im heimischen Musée d’art moderne und contemporain ausgestellt worden sind.

Oft drückt Josse Bailly im Übrigen auch die Farbe direkt aus der Tube auf die Leinwände und die anderen Unterlagen, ehe er sie genüsslich mit den Haaren und den Stielen der Pinsel, Spachteln und Tüchern ausbreitet und auszieht. Richtet sich dabei seine Fantasie in den Bildgevierten mit ihren eigenen unerbittlichen Gesetzen ein, macht sie es sich darin dennoch nie allzu bequem. Schliesslich montiert Josse Bailly zwischen die oft eklatant zwischen feinsten Übergängen und abrupten Brüchen oszillierende Tonalität und Textur der Gemälde auch Fotografien, notabene von sich und seinen Freunden als Rocker. Die auf Herz und Seele übertragenen Schwingungen der visuellen Palette verknüpfen sich so im Geist mit fetzigen Gitarrenakkorden und etwas Nostalgie an die jugendbewegten sechziger, siebziger Jahre. Josse Baillys in der alternativen Szene aufgegangene Kunst, die durch das verspätete BA- und MA-Studium wie auch die diversen Auszeichnungen und Förderungen nur zur Hauptbeschäftigung werden durfte, ist eine einzige Zelebration aller vitaler Energien gegen Überzivilisation: Aggressivität, Zärtlichkeit, Sexualität, Spass und Spielerei und nicht zu vergessen ebenso Hunger und Durst wie die Suche nach ekstatischen und transzendenten Erfahrungen.

 Katharina Holderegger