Rutherfoord Miriam

20. August bis 25. September

spaces in motion

ein gemeinsames Ausstellungsprojekt mit PTTH:// im Kunstpavillon

Miriam Rutherfoord & Joke Schmidt___Ansichten Teil 5: Home

Der Blick vom Esszimmer in eine offene Küche: auf dem Tisch ein Blumenbouquet, ein Tischläufer, mehrere Gläser – vielleicht vom Vorabend stehen gelassen, dahinter ein Dampfabzug, an dem mit Magneten befestigte Postkarten hängen, neben dem Herd griffbereit Öl und Essig, weiter hinten eine Etagere halbvoll mit Früchten. Unser Blick wandert vom Gesamten zum Detail, vom wohlbekannten Mittelstands-Interieur über das Fenster hinaus in die städtische Umgebung und schliesslich zur Decke, die sogleich diese perfekt inszenierte Wohnillusion entlarvt. Wir befinden uns in der Möbelhauskette IKEA, in der Wohnung von „Bruno, Silvie, Jay“. Es ist eine dieser Musterwohnungen, die von der IKEA an spezifischen Orten im Raum Zürich angesiedelt und von fiktiven, genau definierten Personen bewohnt werden.

Miriam Rutherfoord & Joke Schmidt lassen uns beim Betrachten ihrer neusten Videoarbeiten „Ansichten Teil 5: Home“ bewusst Zeit. Erst eine leichte Bewegung des Vorhangs oder das Pendel einer Wanduhr geben Indiz, dass es sich um bewegte Bilder handelt. Dieses Spiel zwischen Fotografie und Film, zwischen dem statischen und bewegten Bild treiben die beiden Künstlerinnen schon länger und setzen es als ästhetisches Mittel in ihren Arbeiten gezielt ein. Die vermeintliche Statik der Bildsequenzen führt dabei zu einer geschärften Wahrnehmung der Betrachtenden. Vielleicht haben wir gerade durch die unseren Alltag durchdringende Bilderflut verlernt, genau zu beobachten, zu betrachten, zuzuhören. In den von Miriam Rutherfoord & Joke Schmidt gewählten Bildeinstellungen fehlt oftmals das Effekthaschende, selten gibt es ein einziges Bildzentrum. Vielmehr lassen sich nach und nach immer mehr Details erkennen.

In der Arbeit „Ansichten Teil 5: Home“ fügen die beiden Künstlerinnen den Bildern eine Soundebene hinzu und führen die Wohnillusion auf einer weiteren Sinnesebene fort. Zu hören sind nicht die Stimmen der IKEA-Besucher*innen, sondern Geräusche des Ortes, an dem die Wohnungen offenbar lokalisiert sind: Kirchenglocken, ein Radio, Strassenlärm oder die grasenden Schafe auf einer nahegelegenen Weide. Die scheinbar privaten Objekte wie Schmuck, Bücher, Kinderzeichnungen, Kuscheltiere oder auf dem Bett zufällig hingeworfene Kleidungsstücke sollen einen Eindruck von Intimität und Gemütlichkeit vermitteln – jedoch stets überlagert von den omnipräsenten IKEA-Preisschilder und den einkaufenden Menschen, die selbst zu konsumierenden Eindringlingen in die verschiedenen Wohnungen werden. Wie der Kunsthistoriker Philip Ursprung in seinem lesenswerten Text „Das globale Wohnzimmer“ (2007) feststellt, verzichtet IKEA auf Verkaufsberater*innen und ersetzt diese vielmehr dadurch, dass die Produkte (mit Vornamen und Preisetiketten versehen) quasi selbst die Kund*innen ansprechen. Wohnen wird dabei zu einem Akt des Konsumierens, einem collageartigen Addieren von Einzelteilen, die beliebig ergänzt, umgeordnet und ersetzt werden können.

Im Ausstellungsraum treten die sieben Screens mit der Architektur des Kunstpavillons in einen spannungsvollen Dialog. Der Raum, der mit seinem „Chlötzliparkett“, den Fenstern und den Heizkörpern selbst an einen Wohnraum erinnert, scheint wie geschaffen für eine Arbeit, die sich mit dem Thema des Wohnens und Einrichtens befasst. Neben dem Blick durchs Fenster in den überwucherten Garten hinter dem Pavillon wirkt die Hängepflanze in einer der gefilmten Musterwohnungen lediglich wie ein bescheidener grüner Farbtupfer – ein kläglicher Versuch, etwas „wilde Natur“ in das durchdesignte IKEA-Interieur zu bringen.