Peters Judith

2. Dezember 2017 bis 13. Januar 2018
Judith Peters ____ 

Gedanken sind fragil, sprunghaft, tauchen ungefragt auf und verschwinden wieder. Abends im Bett ziehen sie ihre Kreise, führen uns die Bilder des Tages noch einmal vor Augen, rufen Gefühle wie Ärger und Freude erneut wach und rauben uns womöglich den Schlaf. Manchmal hilft es, die Gedanken niederzuschreiben – bei Judith Peters werden sie niedergezeichnet, niedergekritzelt, überdeckt, weggelegt und wieder neu aufgerollt.

An der Wand bannen kleine, gerahmte Zeichnungen meinen Blick auf einzelne Formationen. Sie sind das Kondensat aus Geschichten und Gedankenfetzen, welche die Künstlerin im Moment des Zeichnens im Kopf trug. Auf dem einen Blatt windet sich eine rote Linie schraubengleich in die Höhe. Wie ein Mantra oder eine nicht enden wollende Gedankenschlaufe wiederholt sich darin das geschriebene Wort «warten». Sogleich tauchen auch bei mir Assoziationen auf. Ich denke an Momente der Ungeduld oder das Gekritzel während eines Telefongesprächs. Bei den Kleinformaten handelt es sich um die von der Künstlerin als «Brotblätter» bezeichneten Zeichnungen. Während diese ihr das tägliche Brot sichern, bleiben die sogenannten «Tageszeichnungen» unverkäuflich und bilden ein fortlaufendes Ganzes, dem sich seit August 2015 jeden Tag ein neues Blatt zugesellt.

Sechs weitere, grossformatige Zeichnungen hängen im Raum und heben sich kontrastreich von den kleinen Arbeiten ab. Ungerahmt und direkt auf die Wand appliziert, wirken sie schutzlos, entblösst und unmittelbar. «Meine Bilder sind wie Häute, sie zeigen in ihrer Machart eine Verletzlichkeit. Ich arbeite auf dem Boden, tuckere die Blätter an die Wand und nehme sie wieder runter. Die Zeichnungen sind wie wilde Pferde, sie wollen keinen Stall, sie wollen atmen, schnauben, frei sein,» so Peters. Die Papierbogen sind in verschiedenen Schritten durch die Hände der Künstlerin gewandert. Pinselstriche und Farbfelder aus Acrylfarbe und Lack wurden in gestischem Modus übereinander und ineinander gelagert, um sie letztlich mit linearen Formen zu verschränken. Hierfür greift Peters zur Kreide und zum Bleistift. Stellenweise scheint sich die Kreide irrsinnig auf der Stelle bewegt und damit ins Papier eingegraben zu haben. Wie bei der Frottagen-Technik wird in den verdichteten Feldern manchmal die Struktur des Zeichenuntergrunds erkennbar. Die groben Kratz- und Knautschspuren und das scheinbare Ringen mit dem Material bilden einen kräftigen Kontrast zu den fragilen Zeichen, Geometrien und Buchstaben, die sich im zügellosen Strudel über das Blatt bewegen.

Je länger meine Blicke auf den Blättern verweilen, desto mehr Elemente glaube ich zu erkennen. Ich entdecke regnende Wolken, Kieselsteine und Vögel auf Antennen. Ein Drache und eine Frau in rot-schwarzem Schleier drängen sich mir als Bilder auf. Was bedeuten die kleinen Strichreihen und was hat es mit den wild umherfliegenden Telefonhörern auf sich? Woher kommen diese Bildfetzen und wollen sie mir eine Geschichte erzählen? Sie werfen ein direktes Licht auf das Leben der Künstlerin. Als Betrachter nehmen wir teil an Judith Peters «Begegnungen mit dem Tag». Manchmal seien es Momentaufnahmen, eine Art «Selfies», manchmal längere Geschichten, nie aber seien sie chronologisch geordnet oder als bewusste Kompositionen angelegt, so Peters. Mit der Zeit hat die Arbeit bestimmte Formen hervorgebracht, die sich als eine Art Zeichensprache oder Schlüssel lesen lassen. So steht die wiederkehrende Boxhand als Metapher für Wut und Ärger, während ein Kreis mit einzelnen Strichen das Ziffernblatt einer Uhr andeutet. Zeit spielt ohnehin eine wichtige Rolle im Schaffen der Künstlerin. So nutzt sie ein schlichtes Oval, um die Zeichnung dem Tag zuzuordnen, während dunkle Stellen am oberen Blattende auf die Nacht, oder zumindest den vergangenen Tag hinweisen. Als Träger bestimmter Erlebnisse lagert sich die Zeit im Prozess des Schaffens schichtweise in der Zeichnung ab. Mögen die Gedanken der Künstlerin durch die Notation etwas Ruhe finden, so regen die Bilder im Moment der Betrachtung zu neuen Assoziationen an. Die Zeichnungen fordern einen dazu auf, näher zu treten, sich an ihnen zu reiben, in sie einzutauchen, sich am Schutzglas zu stossen und dabei einer Reise zu folgen, die Judith Peters mit jedem Tag und jedem Gedanken weiter vorantreibt.

Julia Schallberger