7. März bis 22. Mai 2020
Fabienne Immoos___[ ]
Es entspricht Fabienne Immoos’ Arbeitsweise, sich intensiv auf den jeweiligen Kontext einzulassen und darauf zu reagieren. Bereits drei Wochen vor Ausstellungseröffnung war sie vor Ort im o. T. anwesend. Vorgängig hat sie die räumliche Situation genau erkundet und unterschiedliche Materialien mitgebracht, um auf den ihr zugewiesenen Raum einzugehen. Sie hat dabei Spuren eines vorherigen Zustands – eine lange Holzleiste im Parkettboden verweist auf eine frühere Wand – aufgespürt und diese in der Entwicklung der Installation berücksichtigt. Der Hinweis auf den einstigen Gebäudeteil, den die Künstlerin als «blasse Erinnerung» an eine vergangene Trennung des Raumes beschreibt, baut sie als imaginäre Wand, als «unsichtbares Dazwischen» in ihr Werk ein.
Die Umschreibung «unsichtbares Dazwischen» widerspiegelt sich im äusserst reduzierten Titel von Fabienne Immoos’ Ausstellung: Zwei eckige Klammern, die wir von Einfügungen, oder Auslassungen in Zitaten und linguistischen Angaben zur Lautäusserung kennen, umfassen ein Leerzeichen. Die Künstlerin verweist damit auf den ihrem Schaffen zugrundeliegenden Antrieb, Zwischenräumen, Nichtbenennbarem und Imaginärem nachzugehen. Ganz im Zeichen der globalisierten Welt lässt der Titel eine sprachliche Zuordnung offen und bietet allen Betrachtenden die Möglichkeit, in ihrer eigenen Sprache etwas zu formulieren.
Die entstandene Arbeit überrascht durch ihre Reduktion. Parallel zur Fensterfront zieht sich eine zweiteilige Installation durch die Mitte der Räumlichkeit. Senkrecht gestellte Glasscheiben, Steinquader und an die Wand gelehnter Flachstahl werden von einem Wollfaden umfasst.
Gleich einer Achse fungiert die Holzleiste, an der es zu einer scheinbaren Spiegelung kommt. Obwohl auf das Minimalste reduziert und von prekärer Beschaffenheit, besticht das Werk durch räumliche Präsenz. Die gespannten Fäden führen zur Teilung, gar Segmentierung des Raumes und lassen uns BetrachterInnen diesen bewusster wahrnehmen. Die verwendeten Materialien und der unhierarchische Umgang mit ihnen erinnern an die Kunstbewegung der Arte Povera im Italien der 1960er- und 1970er-Jahre. Ihre VertreterInnen setzten «arme Materialien», d.h. leicht erhältliche, vorgefundene, alltägliche Werkstoffe ein, um eine bis anhin fehlende Sprache für die Zusammenhänge von Mensch und Kosmos, das Nachdenken über die Existenz, die Gesellschaft und Geschichte zu erschaffen.
Fabienne Immoos bezeichnet ihr künstlerisches Werk als Konglomerate. Der Begriff leitet sich ab vom lateinischen Verb «conglomerare» für zusammenballen. Sie beschreiben somit ein Gemisch aus verschiedenen Stoffen, die reale Gegenstände, Vorgefundenes – «objets trouvés» – und auch Abfall umfassen können. Die Aufmerksamkeit der Künstlerin ist gefesselt, wenn ein Ding, oder ein Fragment sie erstaunt, Überlegungen und Fragen nach dem Ganzen auslöst. Gleich ihrer eingehenden Auseinandersetzung mit der jeweiligen Situation, begibt sich die Künstlerin in eine Interaktion mit dem Material. Ihre primäre Funktion verlieren die Objekte, werden mittels Denken sowie Handeln transformiert und in einen neuen Zustand überführt. Die Teile werden zu einer Konstellation zusammengefügt, die aber nicht endgültig ist, sondern von Mal zu Mal zu nächsten Konglomeraten wachsen kann.
Begleitend zum dreidimensionalen Schaffen führt die Künstlerin «visuelle Notizen», von denen sie 2019 eine Auswahl in einer gleichnamigen Publikation herausgegeben hat. Ganz im Sinne des Schweizer Schriftstellers Robert Walser richtet Fabienne Immoos ihre Aufmerksamkeit auf vermeintlich nichtige und meist übersehene Gegebenheiten, oder Objekte: Flüchtige Verschiebungen und skurrile Bruchstücke aus dem Alltag, deren Schönheit und Witz die Künstlerin anhalten, sie fotografisch einzufangen. Die fragilen Konglomerate und die gesammelten Fotografien ephemerer Momente zeugen von Fabienne Immoos’ Bestreben, in uns eine Sensibilisierung zu wecken, die vielleicht sogar über alltägliche Beobachtungen hinauszugehen vermag.
Karoliina Elmer