Geröcs Julia

27. Oktober bis 26. November 2016
Julia Geröcs in Zusammenarbeit mit Gabriel Studerus___Como
un río. No puedes dividirlo.

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Identität ist Verhandlungssache. Und vermutlich nur in Wechselwirkung auszumachen. Im mehr oder weniger bewussten Kontakt zu familiären Wurzeln, zu Sprache, Klima, Bildung. Sie sitzt im Körper und im Vergleich. Sie ist viel grösser als unsere Personalien und im Verhältnis zu Gleichheit immer wechselhaft: Weiss ist global gleicher als dunkel. Manches Muster bildet sich im Erfolgsmodell, manches ist identifiziert mit Armut oder einer geografisch bedingten Randständigkeit. Auf Identität haben wir ein bisschen Einfluss und zu einem grossen Teil keineswegs. Würde ich behaupten, ich käme aus dem Land der Inkas, bekäme ich die Antwort, ich sei blauäugig. Denn manche Identitäten haben ein zugehöriges Äusseres und andere sind anders. Dann haben sie nicht einmal einen Fleck auf der Landkarte. Einige schliesslich machen beim Verhandeln gar nicht mit.

Bernardo Gamboa und Meraqui Pradis umkreisen den Begriff der „Identität“ entlang einer vorgegebenen sprachlichen Partitur. Julia Geröcs hatte diese während ihres halbjährigen Aufenthalts in Mexico City aus einer Reihe von Gesprächen, Begegnungen und Beobachtungen isoliert. Die beiden Schauspieler tragen die fragmentierte Rede über Herkunft und Distinktion in gleichmässiger Tonlage vor. Wobei die Zitate keine Quelle preisgeben und die Zuordnung von Urtext(en) zu Sprecher/in Zäsuren aufweist. So bleiben die Protagonisten während der halbstündigen Performance zur individuellen Persönlichkeit auf Distanz. Mehr noch: Das Künstliche ihres Vortrags und die Unbestimmtheit ihrer Adressaten markieren eine Lücke zur Präsenz ihrer Körper, denen unausgesprochen so viel Eigenes eingeschrieben ist. Als einziges Requisit nimmt ein weisses, einseitig mit einem abstrahierenden Plan bedrucktes Tuch unterschiedliche Formen und Rollen an. Schutz, Gabe, Bürde, Kissen, Versteck. „Es ist merkwürdig, dass in Mexiko sich die Bedeutung der Sachen ständig ändert.“

Einmal, im zweiten Akt, steigern sich Tempo und Emotionalität, richtet sich die Arbeit gleichsam gegen ihre Urheberin: „Ich mag es nicht, wenn eine Ausländerin nach Mexiko kommt, um über die mexikanische Identität zu sprechen.“ Julia Geröcs hat die Vorwürfe nicht zensiert, die ihr die Untersuchung des historisch und gesellschaftlich heterogenen Selbstverständnisses im heutigen Mexiko auch zumutete. Im Gegenteil: Die richtungslose Aggression gegen die mächtigen Kolonisatoren lässt sie gelten und achtet darauf, dass eurozentrisch klischierte Bilder mit anderen Aussagen verwoben bleiben. Die Madonna von Guadalupe ist „eine wichtige Ikone für alle Mexikaner“ – während in sakral untermalten Ritualen auch Zeichen politischen Aufbegehrens stecken. Der Strom, der die Ahnen mit den Lebenden verbindet, mündet in einen landesweiten Totenschmaus – und bindet vielleicht auch Energie, die in eine Zukunft weisen möchte. Welche Musik gehört zu Mexiko? Die Cumbia sei kolumbianisch. Aber der Tanz gehört allen, bleibt Fest, lässt Lachen und Gemeinschaft zu.
Die Live Performance hat im Juni in der Kolonialvilla Casa Maauad stattgefunden. Mit den beiden Schauspielern und zwei Musikern vor Ort erarbeitet, ist sie im o.T. als Videoaufzeichnung präsentiert. Raum, Sound, die Anwesenheit des Publikums werden in Kameraführung und im Schnitt von Gabriel Studerus zu etwas Neuem: zu einem Stück, das Blicke von innen und nach aussen auf Dauer miteinander verzahnt. Da werden Musik und Tanz zuletzt das Sinnbild jenes unteilbaren Flusses, der die Widersprüche mitführt und vorübergehend versöhnt. (Text von Isabel Zürcher)

Regie Performance: Julia Geröcs / Regie Video: Gabriel Studerus
Drehbuch: Julia Geröcs und Bernardo Gamboa
Spiel: Bernardo Gamboa und Meraqui Pradis
Musik: Paco Vives und Rodrigo Barbosa
Kamera: Gabriel Studerus, Alicia Sabina
Ton: Rafael Ruiz Planter
Schnitt: Gabriel Studerus
Soundmastering: Paco Vives
Dolmetscherinnen: Lena Schildbach und Doreen Kursawe