3. September bis 30. September 2007
Signer Barbara___Reflections of a Hidden Place
„Marcel et Vincent“ – zwei Namen erscheinen wie von Geisterhand gekritzelt auf dem Boden des lichten Ausstellungsraumes. Im Kontext bildender Kunst kann es sich dabei wohl nur um eine Referenz an zwei epochale Grössen der Kunstgeschichte handeln. Der Lichtstrahl des Videoprojektors wirft sie als flüchtige Zeilen auf die hölzernen Bretter. In der kurzen digitalen Animation setzt der 1960 in Reussbühl bei Luzern geborene und heute in Basel lebende Künstler Markus Schwander die beiden Idole aus den Anfängen seiner eigenen künstlerischen Laufbahn zueinander in Beziehung. Genauso wie er in der Ausstellung „Come as You Are“ sein eigenes künstlerisches Schaffen in Bezug bringt zum malerischen Werk von Nic Bezemer (geboren 1955, lebt in Rotterdam und Basel). Mit ihm verbindet Markus Schwander nicht nur eine langjährige Freundschaft, sondern auch ein intensiver künstlerischer und gedanklicher Austausch, der als Ausgangspunkt diente für das gemeinsame Projekt im o.T. Raum für aktuelle Kunst. Mit der letztjährigen Ausstellung „Meine Chinesin“ hat o.T. zusammen mit zehn Künstlerinnen das viel beachtete Experiment gewagt, das Format der Gruppenausstellung auf seine Möglichkeiten und Grenzen hin auszuloten. Die Ausstellung „Come as You Are“ mit Nic Bezemer und Markus Schwander soll, wenn auch auf ganz andere Art und Weise, diese Untersuchungen weiterführen – und zwar als dialogische Präsentation zweier autonomer Künstler-Positionen. Gleichsam um eine weitere Dimension erweitert wird der spannende Dialog durch die überraschenden Videoarbeiten der aus St. Gallen stammenden Barbara Signer. Die Kunst von Nic Bezemer und Markus Schwander wie jene von Barbara Signer ist auf den ersten Blick unabhängig von gesellschaftlichen Fragestellungen: Nic Bezemer übersetzt seine Naturbeobachtung in autonome Zeichnungen und Wandmalerei, Markus Schwander erschafft skulpturale Formen, die sowohl gegenständlich wie abstrakt gelesen werden können. Barbara Signer wiederum entführt uns in ihren Videoarbeiten in die Sphären des Traumes. Zu Beginn des gemeinsamen Projektes stand Bezemers und Schwanders Wunsch, die eigenen „Zugänge“ zur Kunst, wie sie ihnen im eigenen Leben widerfahren sind, zu erkunden. Diese bilden den Ausgangspunkt für eine vielschichtig ineinander greifende Installation.
So antwortet Nic Bezemers malerischer Ansatz den skulpturalen Ausformungen von Markus Schwander, es treffen die ausgreifenden Bewegungen in der Fläche auf klare Setzungen im Raum. Die wandfüllende Malerei von Nic Bezemer inspiriert sich an den visuellen Reizen des auf einer Wasserfläche auftreffenden und sich in Wellenform ausbreitenden Tropfens. Die unmittelbare Naturanschauung übersetzt der Künstler in eine im Grunde autonome Malerei, die die Form präzise fasst, destilliert und konzentriert und zugleich in abstraktes Allover von Schwarz und Weiss übersetzt. Markus Schwander orientiert sich wie Nic Bezember an der Wirklichkeit, indem er seinen an Jean Arps Organik erinnernden Skulpturen „Untitled (Chewed)“ die zerkauten Formen von benutztem Kaugummi zugrunde legt und diese in eine eigenständige plastische Form übersetzt, die wie Meteorite auf den Boden gefallen oder wie „Geschwüre“ aus der Wand zu wuchern scheinen. Und in der Konfrontation mit Nic Bezemers Wandmalerei werden sie gleichsam zu „Tropfen“, die die Kringel auf der Wasseroberfläche erzeugen.
Auf der andern Seite durchbrechen sie die trennende Wand in den Vorraum und beziehen die zwei Videoarbeiten der 1982 geborenen Künstlerin Barbara Signer mit ein in den im grossen Ausstellungsraum stattfindenden Dialog. „Traum“ lautet der bezeichnende Titel der einen, 2004 entstandenen Videoarbeit. Auf einem Monitor präsentiert, finden sich vermeintlich alogisch aneinander gereihte kurze Bildsequenzen, die die Künstlerin aus Filmklassikern direkt vom Bildschirm auf Video aufgenommen und zu einem suggestiven Bilderstrom mit subtil unterlegtem Klang verdichtet hat. Einem Bewusstseinsstrom gleich scheint man durch traumhafte Welten zu gleiten – haarscharf vorbei an den „Vor-Bildern“, die uns aus Film und Medien nur allzu vertraut sind. So wie Barbara Signer unterschiedliche Bildwelten raffiniert verwebt, so durchdringen sich in der Ausstellung drei unterschiedliche künstlerische Haltungen – im spannenden Wechselspiel mit vielgestaltigen Querbezügen.
Garten-Kunst-Architektur
Gemeinsames Ausstellungsprojekt von sic! und o.T.
Urban Agriculture, Urban Farming – seit einigen Jahren sind diese Begriffe in aller Munde und haben gar als Fremdwörter Eingang in die deutsche Sprache gefunden. Gemeint ist das Anpflanzen von Lebensmitteln im urbanen Raum, aber auch das Anlegen von Pflanzgärten in innerstädtischen Brachen. Der in der urbanen Gesellschaft von heute verankerte Ansatz unterscheidet sich grundsätzlich von traditionellen Schrebergarten-Siedlungen, wie sie hierzulande in grösseren Ortschaften anzutreffen sind und wo der Traum des eigenen Hauses mit Umschwung gleichsam im Miniaturformat gelebt wird. Der Kunstpavillon, der seit 2011 gemeinsam vom sic! Raum für Kunst und vom o.T. Raum für aktuelle Kunst betrieben wird, befindet sich inmitten der Stadt Luzern, nur fünf Gehminuten vom verkehrsgeplagten Pilatusplatz entfernt. Den Pavillon umgeben neben Mehr- und Einfamilienhäusern ein abgeschirmter, beinahe verwunschener, naturbelassener Garten hinter dem Gebäude sowie davor eine von einer Schule erweiterte Pausenplatz-Anlage, eine wenig bewirtschaftete Wiesenfläche sowie ein Schrebergarten, d.h. Garten in unterschiedlichsten kulturellen Ausformulierungen auf kleinstem Raum konzentriert. Etymologisch leitet sich der Begriff Garten von “Gerte” ab. Gemeint sind Ruten, die zu einem Gehege verflochten ein Feld umfrieden. Das Wort “gerd” oder “gard” bezeichnet “das (mit Gerten) umzäunte Gelände”. Ein Garten stellt also einen abgeschirmten Ort dar, einen Hortus Conclusus (Paradiesgärtchen), wie er auch in der Kunst der Altmeister auftaucht. Die Ausstellung “Garten-Kunst-Architektur” zeichnet nun keinesfalls das Motiv des Gartens in der Kunst nach, sondern versucht anhand verschiedener künstlerischer Interventionen das Thema Garten aus unterschiedlichen Perspektiven zu beleuchten, und zwar sowohl als konkrete Eingriffe in den das Gebäude umgebenden Aussenraum wie auch als künstlerische Reflexion über das Draussen drinnen im Kunstpavillon.
2007 war Barbara Signer (*1982, lebt und arbeitet in St.Gallen und Zürich) bereits einmal zu Gast im o.T. Raum für aktuelle Kunst, wo sie unter dem Titel Reflections of a Hidden Place zwei Einkanal-Videoarbeiten präsentierte. Auf einem Monitor präsentiert, finden sich vermeintlich alogisch aneinander gereihte kurze Bildsequenzen, die die Künstlerin aus Filmklassikern direkt vom Bildschirm auf Video aufgenommen und zu einem suggestiven Bilderstrom mit subtil unterlegtem Klang verdichtet hat. Einem Bewusstseinsstrom gleich scheint man durch traumhafte Welten zu gleiten – haarscharf vorbei an den „Vor-Bildern“, die uns aus Film und Medien nur allzu vertraut sind. Raffiniert verwebt Barbara Signer unterschiedliche Bildwelten.
Dem Surrealen blieb die Künstlerin auch in den folgenden Jahren in installativen Arbeiten treu, ihre Werke präsentieren sich nie als einfache Narrationen, sondern sind stets verbunden mit dem metaphorischen Potential der beschworenen Dingwelt, mit ihren möglichen Bedeutungen bzw. Bedeutungsverschiebungen. Ihre beiden Beiträge für die Ausstellung Garten-Kunst-Architektur I handeln indes nicht von jenem „hidden place“, jenem verborgenen Ort, sondern nehmen gleichsam den öffentlichen Aussenraum des Kunstpavillons ein, allerdings nicht mit mächtiger skulpturaler Geste, sondern eher mit subtilen Verschiebungen und gedanklichen Setzungen. „Streetlamp“, 2009, besteht aus einer japanischen Strassenlampe, nur knapp einen Meter über dem Boden montiert, in deren Schein eine Blume blüht. Der Lampenschein bezeichnet den Ort, den die Blume besetzt bzw. die Blume scheint unter dem Lichtschein zu gedeihen. Die aus Japan stammende Lampe wirkt an diesem Ort fremd, die Verschiebung der Grössenverhältnisse lässt die an sich alltäglichen Dinge zudem surreal erscheinen. Gleiches mag auch für die zweite Arbeit Void, 2013, gelten. Vor einer kreisförmigen, leeren Fläche steckt ein Schild, wie man sie im botanischen Garten zur Beschriftung von Pflanzen findet: „It is the pleasure principle that enables the subject to circle around the void, substituting the illusory satisfaction of the signifier for the deadly encounter with the Thing“ („Es ist das Lustprinzip, welches es dem Subjekt ermöglicht, um die Leere zu kreisen, indem es das tödliche Aufeinandertreffen mit dem Ding durch seine illusorische Erfüllung ersetzt“). Durch den Text erhält der Ort und damit die bezeichnete Leere, welche im Titel anklingt, eine inhaltliche Aufladung und gedankliche Dynamik , die im Sinne der Künstlerin darauf zielt, den nach illusorischer Erfüllung strebenden Zustand des Kreisens um die Leere zu beschreiben, welcher mit dem Vermeiden der tatsächlichen Konfrontation und somit der möglichen Auflösung dieses Zustands einhergeht. Mit ihren beiden Arbeiten Streetlamp und Void in der Ausstellung Garten-Kunst-Architektur I schafft Barbara Signer poetische Orte auf Zeit, gleichermassen real wie imaginär.