Wittmer Mahtola

14. November bis 12. Dezember 2020

Mahtola Wittmer___Panoptikum

Zu Beginn dieses Jahres hegt Mahtola Wittmer grosse Pläne. Ein Atelieraufenthalt soll sie im Mai nach New York bringen. Als “Jägerin und Sammlerin” will sie auf Streifzug gehen, um nach ihrer Rückkehr ihre “stolze Beute” in einer Art Wunderkammer zu präsentieren. Doch im Frühling 2020 kommt alles anders. Die Covid-19-Pandemie zwingt die Menschen weltweit zum Rückzug, legt das öffentliche Leben streckenweise lahm, schränkt soziale und berufliche Spielräume ein. Die Künstlerin bleibt in der Schweiz und reagiert gelenk, indem sie den alten Plan in sein Gegenteil verkehrt. Kurzerhand ernennt sie ihre Wohnung zum Atelier. Die Suche in der Fremde weicht der Auseinandersetzung mit dem Bekannten, der eigenen Innenwelt, den persönlichen Gedanken, Wünschen, Plänen und Konflikten. Dabei tritt sie mit ihrem Heim und den darin befindlichen Dingen in einen engen Dialog. In der Einkehr befasst sie sich mit sich selbst und ihrem Handlungsspielraum. Zukunftsfragen, wie sie das Kollektiv in dieser unsicheren Zeit umtreiben, werden wach, ebenso wie Gedankengänge zur eigenen Person und Kunstpraxis. So stellt sie sich etwa der Frage, was passiert, wenn der Einfluss von aussen entfällt. Was geht, was bleibt, was kommt?

Mit der als “Panoptikum” (Kuriositätenkabinett) betitelten Rauminstallation gelingt es Mahtola Wittmer den aufkommenden Fragen, Empfindungen, sowie den resultierenden Sichtweisen und Entscheidungen eine physische Form zu geben: am Ende eines längeren Auswahlprozesses verzahnen sich zehn Objektarrangements zu einem bühnengleichen Setting. Die verwendeten Gegenstände, Kleider und Nahrungsmittel sind uns aus dem Alltag vertraut. Indem sie jedoch aus ihrem ursprünglichen Kontext losgelöst und in ungewohnt skurrile Beziehungen gesetzt werden, erzeugen sie eine surreal entrückte Atmosphäre. So balanciert ein Hocker auf Eiern und ein Rotweinglas auf einem prekär gesetzten Serviertablett, während aus einem Einkaufsnetz an der Wand Teig tropft und aus einer weiss bezogenen Bettstätte eine garstige Distel emporwächst. Einige der obskuren Dingverbindungen sind aus dem Prozess des Zeichnens hervorgegangen, andere sind das Resultat spontaner Geistesblitze.

Wittmer schafft reduzierte, starke Bilder, die fragmenthafte, doch nachvollziehbare Botschaften und Stimmungen vermitteln. In der Summe wird spürbar: hier geht es wiederkehrend um ein Gefühl von Instabilität, zuweilen sogar der Bedrohung wie beispielsweise in der nächtlichen Paranoia, bei der die permanent stechenden Gedanken den Schlafenden zu durchstossen drohen. Doch die Fragilität ist hier längst nicht nur negativ behaftet. Schalk und Leichtigkeit schwingen gleichermassen mit. Bezeichnend hierfür ist der im Wandkasten platzierte ‘Badeplausch-Plastikfrosch’, aus dessen Maul unentwegt Seifenblasen hervorschäumen. Die skulptural anmutenden Blasenschlangen vermögen das Schranktürchen mit überraschender Kraft aufzustossen. Laut der Künstlerin handelt es sich hier um eine Metapher dafür, wie sie sich in dieser Zeit zu verhalten entschied: Leicht und dynamisch, entgegen äusserer Widerstände. Ein löblicher Vorsatz in einer Zeit, die von vielen Menschen mit Stagnation und Machtlosigkeit gleichgesetzt wird.

Schon immer habe sie eine besondere Empathie zu gewissen Dingen empfunden, meint Wittmer. Die Dynamik zwischen ihr als Künstlerin und der Welt der Dinge erscheint gar als ein Charakteristikum ihres Schaffens. Sei dies, wenn sie mit ihrer Kamera die Besonderheit des Alltäglichen einzufangen sucht, oder wenn sie in ihren Performances leblosen Objekten Leben einhaucht. Ihre Vorliebe für die verschiedenen Medien – Installation, Performance und Fotografie – habe sie bisher selten in dieser Weise verbinden können, meint Wittmer. Einen Monat vor Ausstellungsbeginn nämlich hat sich die Künstlerin in die leeren Räume des Pavillons begeben, um ihre geschaffenen Objekte performativ zu aktivieren. Davon zeugen Fotografien, die in dem aufgelegten HANS-Magazin abgebildet sind. Das Printmedium fungiert hierbei als Raumerweiterung und Zeitzeuge teils absenter Dinge und vergangener Vorgänge. Zudem ergänzt es die Arbeit um ein für Wittmer wichtiges Thema: das der Weiblichkeit, des Frauseins und der Dekonstruktion von Rollenbildern und den gesellschaftlich kodierten Erwartungen an die Frau respektive an sie als Künstlerin. Subtil spürbar wird dieses verletzliche Thema in einem durchlöcherten Shirt, das als Spur einer Performance geblieben ist. Die Künstlerin hat sich hierfür quasi die Farbtupfen vom Leib geschnitten, womit wir zu den Eingangsfragen in Bezug auf Fragilität und Vergänglichkeit zurückfinden. Was geht, was kommt, was bleibt? Die Arbeit von Mahtola Wittmer lässt uns zwischen Realität und Imagination pendeln und gibt unseren temporären Gefühlen eine fassbare Form.

Ich erwache aus meinen Gedanken und erhasche einen flüchtigen Dialog im Jetzt: Das Shirt flattert vor dem Fenster, die Stoffkreise liegen am Boden. Draussen lässt der Baum seine Herbstblätter los.

Julia Schallberger