8. Juni bis 9. Juli 2011
Halter Marianne___Frontierland
Für ihre eindrückliche Videoarbeit „Aber ich, ich komm nicht mehr zurück“ erhielt die 1970 in Zürich geborene Künstlerin Marianne Halter den 1. Preis beim Videofestival „Screening“, den der o.T. Raum für aktuelle Kunst vor einem Jahr unter Zentralschweizer Videokunstschaffenden ausschrieb. Neben einem Preisgeld besteht der neu gestiftete Preis für Videokunst aus einer Einzelausstellung im Folgejahr.
„Aber ich, ich komm nicht mehr zurück“, 2008, besteht aus einem Filmtravelling entlang von Häuserfassaden, geschlossenen Schaufenstern und verbarrikadierten Geschäften. In einem endlosen Loop ziehen Fassaden vorbei: Beschriftungen, alte Poster, aber auch das gleissende Licht deuten auf eine französische Stadt hin. Erst mit der Zeit, die Häuserfronten scheinen nicht aufhören zu wollen, schleichen sich Zweifel am Gesehenen ein. Und in der Tat konfrontiert Marianne Halter den Betrachter mit Bildersequenzen, denen zwar eine hohe Plausibilität eigen ist, die in der gezeigten Form indes nicht real sein können, handelt es sich doch um eine am Computer aus Einzelaufnahmen minutiös zusammengesetzte, mit Musik unterlegte Bildfolge, die gleichsam eine fiktive Stadt wiedergibt. Zugleich werden schlaglichtartig soziale Realitäten beleuchtet, wie sie uns aus unserer Wahrnehmung, aber auch aus dem täglichen Medienkonsum nur allzu vertraut erscheinen. Es geht um Städte im Ausnahmezustande, um menschenleere Zonen des Urbanen, in denen normales Leben nicht oder nur eingeschränkt stattfindet, im Grunde also um das Nicht-Stattfinden alltäglichen Lebens: Das Vermauern und Verbarrikadieren schliesst nicht ab, sondern aus. Für solche sozialen Brennpunkte hat Marianne Halter mit ihrem endlosen Travelling eine eigenständige poetische Form gefunden.
Die Beschäftigung mit Räumen sowie ihren gesellschaftlichen und sozialen Funktionen vertieft Marianne Halter in ihrer aktuellen Ausstellung bei o.T. Empfangen wird der Ausstellungsbesucher bereits vor dem Ausstellungspavillon an einer Plakatstelle von einem Poster. Dieses gibt eine spartanisch eingerichtete, menschenleere Rezeption wieder, deren Ort und Funktion weitgehend unklar bleibt. Einzig ein kleines Schildchen ist zu sehen mit der Aufschrift „barely there“, die im Ausstellungsraum nochmals auftaucht.
Eine Serie kleinformatiger Fotografien, sogenannten Trophäen aus Marianne Halters privater Bildersammlung, in der Empfangszone des Kunstpavillons ist als Auftakt für die raumgreifende Videoarbeit im einen Ausstellungsraum angelegt: „Frontierland“, 2011. Inhaltlich bezieht sich die Künstlerin damit auf die von der amerikanischen Geschichte ausgeprägte Vorstellung des Grenzlandes, wo die Zivilisation endet und die ungebändigte Natur beginnt. Der Mythos des Eroberns und Besiedelns eben dieses Grenzlandes bildete die Grunderzählung für den amerikanischen Western, wie er in unzähligen Hollywoodfilmen gefeiert wurde und bis heute als unhinterfragte Vorstellung immer noch anhält. Allerdings sucht Marianne Halter ihre Frontier nicht im längst zersiedelten und kultivierten Westen der USA, sondern findet sie im Disneyland nahe Paris – und zwar als künstlich inszenierte wilde Landschaftsszenerie für den friedlichen Wochenend-Familienausflug.
Einem Panoramabild gleich, bestehend aus drei Kamerafahrten durch die wilde Kulissenlandschaft, wird die Reise durchs Frontierland auf die Fensterfront des Raumes projiziert. Dabei kontrastiert die künstliche Disneyland-Natur mit dem verwilderten Garten hinter dem Kunstpavillon, der durch ein viertes nicht verstelltes Fenster sichtbar bleibt. Fiktion trifft auf Realität, konstruierte Kulisse auf belebte Natur.
Entscheidend in Marianne Halters Arbeiten ist wie zuvor in „Aber ich, ich komm nicht mehr zurück“ die Tonspur: Konkret handelt es sich um den O-Ton aus dem Disneyland mit pathetischer Musik und erläuterndem Kommentar, allerdings verdichtet in der Überlagerung dreier Tonspuren. Der Text fährt durch die Landschaften, in der Installation gleichsam durch die fiktive wie durch die reale – als gedankliche überblendung beider.
Einmal mehr greift Marianne Halter in „Frontierland“ im Grunde alltägliche, in unserer Vorstellungswelt indes tief verankerte Motive auf, nur um sie in überraschender Weise neu sichtbar werden zu lassen – und das mit der ihr eigenen Mischung aus nüchterner Distanziertheit und feinem Einfühlen.