Bühlmann Max

26. März bis 23. April 1988
Max Bühlmann

Galerie Pro(s)art, Waldstätterstrasse 31


ohne Titel, 1988, Holz, Ölfarbe, 68x102x60cm

Senkrechte, waagrechte und schiefe Ebenen. Ein Sockel, der zugleich Skulptur ist und – auch im Wortsinn – das Grundvolumen (quasi den basso continuo) bildet. Spitzwinklige Keile und schiefe gleichschenklige Trapezoide täuschen Räume vor, die sie “in Wirklichkeit” nicht ausmessen: Skulptur und dreidimensionales Bild zugleich.
Der minimale Eingriff als entscheidende Gestaltung: der einfache Quader, dessen vier gleiche Längsflächen rund doppelt so lang sind wie die beiden quadratischen Seiten, die, von innwendig angebrachten Stäben gehalten, wenig vor dem Körper schweben und damit den Innenraum zweiseitig offen halten, ohne ihn aber dem Auge zugänglich zu machen. Dieser Körper, auf die eine Längskante in die Dreieck-Aussparung zweier senkrecht stehender Brettchen gestellt, beginnt nun so für uns gleichsam zu singen (die Oberstimme) und wie selbstverständlich fügt sich hier zum Sperrholz die Farbe.

Die Bilder. Auch sie mit den einfachsten Konstruktionselementen gebaut. Vertikale, Horizontale, und die Schräge, die nur schon als solche im Bildgeviert unwillkürlich Raum illusioniert. Des öftern mögen Bodenfliessen, wie sie von Gemälden der Renaissance her bekannt sind, das Gerüst bilden. Diese Bilder können zum einen als reine, sagen wir vielleicht: geometrische Flächenkompositionen gelesen werden. Zum andern sind sie Darstellung, irritierende Darstellung von Architekturfragmenten, oder Darstellung von Objekten: Kisten etwa, deren Frontflächen Durchsicht erlauben und deren Seiten und Decken schräg aufgeklappt erscheinen.

Dabei können die parallel zur Bildkante verlaufenden und am Bildrand unten oder links anliegenden Frontflächen der abgebildeten Kisten und Architekturteile mit den Bildflächen zusammenfallen. Das dargestellte Objekt ist teilweise identisch mit der Bildoberfläche. (Und tatsächlich ist doch schon der Bildkörper selbst, ist diese Sperrholzplatte mit den vier rückwärtig rundum befestigten Kanthölzern eine halbe Kiste). Zum dritten also erzwingen sich diese Bilder das scheinbar Unmögliche, nämlich selbst als das genommen zu werden, was sie darstellen: als Objekte und Architekturfragmente zum Beispiel. Denn da sind Gemälde, die seitlich betrachtet werden wollen; als ob damit versucht würde, die “schräge”, stets irgendwie unstimmige Perspektive zu korrigieren, oder durch eine schmale Öffnung sich einen Augenschein vom Innern der Architektur oder der Kiste zu nehmen.

Die Irritation, die aus diesen drei – gleichzeitig existierenden – Bildmomenten resultiert, ist bloss Vehikel und nicht eigentlich das Thema dieser Bilder; vielmehr thematisieren sie, wie mir scheint, die Entscheidung für das eine, das andere oder das dritte Moment. Es ist nun aber auch wieder nicht eine Entscheidung für die eine oder die andere Wahrnehmung – denn es ist nur die eine (unbestimmte) Anschauung, die alle drei Momente zugleich ermöglicht, sondern eine Entscheidung für den einen oder anderen gedanklichen Zugriff, der die Wahrnehmung erst bestimmt. Ich könnte mir vorstellen, dass hiermit der Zwang zur Entscheidung vorgeführt wird letztendlich entweder für die illustrativ-gestaltbezogene Kultur (Kunst) der Vorkriegszeit, für die inhalts-ereignisbezogene (Bild-) Kultur der 50er und 60er Jahre oder für die instrumental-wirkungsbezogene Kultur der 80er Jahre. Mit schlichten Mitteln gelingt es diesen Bildern, stets wieder erneut den Blick aufzulösen (und damit immer wieder weitere Entscheidungen zu fordern), den Blick, der die schreckliche Tendenz oder Eigenschaft hat, alles Gesehene zu versteinern.

Als Gemälde? Die Farbgebung beansprucht für sich unter anderem die Funktion, das spezifische Gewicht der drei Bildcharaktere im Gleichgewicht zu halten. Und da wird implizit auch wieder die Frage aufgeworfen, wieweit denn Konstruktion bzw. Geometrie sich überhaupt mit Malerei vertragen. Sinnfällig wird die Malerei dieser Bilder hier, als sie in ihrer vorgezeigten Mehrschichtigkeit die mentale Polyphonie auch materiell vollzieht.
Christoph Schenker

 

Max Bühlmann