Hdez-Güero Jesús

30. Mai bis 6. Juli 2019
Jesús Hdez-Güero___NO ME PONGAN EN LO OSCURO

Zu Beginn von Jesús Hdez-Güeros Ausstellung empfängt mich eine knallrote Wand. Darauf scheint in weissen Lettern die Frage auf, ob ich mich als Schweizer Bürgerin vom Staat überwacht fühle. Freilich referiert das signalstarke Farbkonzept auf die Schweizer Flagge – mit einem nationalen Selbstverständnis des Künstlers hat die Setzung aber nichts zu tun. Vielmehr ist es die Sicht des Aussenstehenden, die hier zum Zuge kommt. So stellt der kubanische Künstler nicht nur zum ersten Mal in der Schweiz aus, er rückt auch gleich ein Stück Schweizer Geschichte in den Fokus seiner Arbeit. Kern der neu geschaffenen Installation ist der sogenannte “Fichenskandal” – eine in den 1990er-Jahren das Volk aufrührende Staatsaffäre. Ausgelöst wird sie 1989, als ans Licht kommt, dass die Bundespolizei seit 1900 über 700’000 Personen wegen Verdacht auf “unschweizerisches Verhalten” überwachen liess. Jeder zwanzigste Schweizer und dritte Ausländer war mit einem Dossier registriert, bestehend aus etlichen Karteikarten – den sogenannten “Fichen”. Begründet wurde das Sammeln von Daten mit dem Schutz des Staates. Aufgrund eines fehlenden, klaren Bedrohungsbildes erfolgten viele Beobachtungen jedoch willkürlich. Niemand war gefeit, ob Anarchisten, Rechtsradikale, Feministinnen, Linke oder einfach die Nachbarin von nebenan. Viele der Einträge erwiesen sich denn auch als belanglos. Tausende gingen damals auf die Strasse, um gegen den “Schnüffelstaat” zu protestieren und um Einsicht in ihre Fichen zu verlangen.

Überwachung und Informationskontrolle sind Themen, die in Jesús Hdez-Güeros medien- und sozialkritischem Schaffen eine wichtige Rolle spielen. Heute ist der Künstler in Madrid Zuhause. Lange Zeit lebte er jedoch in Kuba und Venezuela und erlebte damit Systeme, in denen autoritäre Regimeführung, Spionage, Zensur und Gewalt an der Tagesordnung sind. Diese Themen bilden den Zündstoff für seine Werke; Themen, die er bis zu seiner Entdeckung des Fichenskandels mit seinem Bild von einer vermeintlich “neutralen Schweiz” nicht zusammengebracht hatte.

Sein Schaffen pendelt zwischen Installation, Video, Fotografie, Grafik und Objektkunst – stets auf der Suche nach der adäquaten Ausdrucksform, um komplexe und tiefschürfende Themen zu greifen. Konzeptuell und pointiert ist auch die hiesige Ausstellung mit dem Titel No me pongan en lo oscuro (Lasst mich nicht im Dunkeln). Als Betrachtende tappen wir nicht im Dunkeln – zumindest nicht physisch. Vielmehr baden wir in Farbe. So folgt der roten Wand ein hellgrün gefasster Raum, auf dessen Fenstern Textfragmente prangen. Die Wandfarbe entspricht dem Originalton des Fichenpapiers, während die “Dunkelheit” im Ausstellungstitel auf den obskuren, heimlichen Entstehungskontext der Texte Bezug nimmt. So handelt es sich um Auszüge aus der Staatsschutzakte des Schweizer Autors Max Frisch (1911 – 1991). Als unabhängiger Linker und Patriot, der an Jugendbewegungen interessiert war, sich für die Abschaffung der Armee einsetzte, und die Schweiz auch mal kritisch beäugte, stand er unter Generalverdacht. So konnte es passieren, dass ein harmloses Treffen mit seiner russischen Übersetzerin in den Augen der antikommunistischen Geheimpolizei verdächtig war. 1990 bat Frisch um die Zusendung seiner Fichen. Damals wurden die Namen möglicher Informanten noch geschwärzt. Diese Zensurbalken hat Hdez-Güero ihrem Kontext entrissen, vergrössert und auf Leinwand übertragen. Ihrem Sinn entledigt werden sie zu reinen Geometrien und rühren an das individuelle Bildgedächtnis der Betrachtenden an. So erinnern sie mich an die Kunst der Zürcher Konkreten, an die Balkenkonstruktionen von Camille Graeser, der mittels abstrakter Formen musikalische Themen und Rhythmen zu visualisieren suchte.

Die Fichenaffäre – ist sie eine längst verhallte Schweizer Geschichte? Jesús Hdez-Güero lässt sie erneut anklingen; beleuchtet sie aus der Sicht eines Exilkünstlers, für den die Überwachung ein alltäglicher Fakt ist. Doch wie steht es um die Schweiz heute? Was im ‘Dunkeln bleibt’, ist nicht zwingend verschwunden. Ist die Angst um unsere Sicherheit nicht präsenter denn je und haben wir uns mit den Kameras an den öffentlichen Plätzen nicht bereits abgefunden? Zeigen unsere Abstimmungsergebnisse, ebenso wie unser leichtsinniger Umgang mit persönlichen Daten nicht, dass wir unser stilles Einverständnis, überwacht zu werden, schon längst gegeben haben?

Julia Schallberger